Angedacht-Archiv 2021

Hoher Besuch

Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der Herr.

Sach. 2,14

Vertraute Zeilen, zumindest zur Weihnachtszeit, in der wir jedes Jahr die Geburt Christi feiern. Das Kommen Gottes in unsere Welt in Gestalt eines kleinen Kindes. Doch außerhalb der weihnachtlichen Zeit? Was bedeutet uns da dieser Vers aus dem Propheten Sacharja?

Mit dem bei jemandem Wohnen ist das ja so seine ganz eigene Sache. Die eigene Wohnung ist privat, kein anderer hat Zutritt, außer man willigt ein. In den eigenen vier Wänden will man ungestört sein, unbeobachtet, sich nicht dreinreden lassen. Etwas wohin man sich zurückzieht, mit sich allein ist, das tut und lässt, was man gerade möchte und wie.

Kündigt sich Besuch an, dann werden die meisten von uns aktiv. Es wird geräumt, geputzt, vorbereitet. Denn der, der kommt, soll sich ja wohlfühlen und man selbst möchte auch in einem guten Licht dastehen. Beruf, Kinder, Haushalt toll wie du das alles schaffst. Doch so schön Besuch ist, gut ist auch, dass er zeitlich begrenzt ist.

Wenn jedoch jemand bei einem auf Dauer wohnt, ja dann geht es ans Eingemachte. Es wird abgewägt und geprüft, immer wieder müssen Kompromisse gefunden und Aussprachen her und nicht selten scheitert ein solches Projekt. Wir Menschen sind so.

Einerseits brauchen wir einander, andererseits aber bitte mit Abstand und mit klaren eigenen Räumen und Zeiten.

Ich bin, ehrlich gesagt, sehr erleichtert, dass der Gott, an den wir Christen glauben, zwar Gott und Mensch ist, aber ohne menschliche Allüren.

Seine Ankündigung, bei mir wohnen zu wollen, bedeutet kein hektisches Aufräumen, kein sich beobachtet Fühlen, und auch keine Kompromisse schließen müssen.

In Gott habe ich jemanden, der mich versteht, der mich so akzeptiert wie ich bin, bei dem ich mich nicht beweisen muss. Der mir Richtschnur und Hilfestellung und Wegweisung gibt in meinem Leben. Der mich trägt. Dem ich meine Freude sagen kann aber auch meine tägliche Mühe klagen darf.

Und das nicht nur, wenn ich sonntags oder auch mal so in der Kirche bin, sondern ganz privat in meinen eigenen vier Wänden. Welch ein Geschenk. Nicht nur zur Weihnachtszeit

Ihre Pfarrerin Almut Heineken, Dez. 2021

Tage in Moll – so nennt ein kleines Buch die Tage im November. Wenn das Laub fällt und die Tage kürzer werden, wird die Stimmung verhaltener, nachdenklicher.

Die Sonn- und Feiertage im November laden uns zudem zum Nachdenken ein:

Wie können wir in Frieden miteinander leben? Diese

Frage stellt der Volkstrauertag, den wir in unserer

Gemeinde als Teil der ökumenischen Friedensdekade begehen.

Wie gehe ich mit meiner Schuld um? Im Gottesdienst am Buß- und Bettag kann ich mir das bewusst machen und mir wird Vergebung zugesprochen.

Aus welcher Hoffnung leben wir? Am Ewigkeitssonntag denken wir an die Verstorbenen und hören die Botschaft von der Auferstehung.

Tage in Moll?

Auf jeden Fall Tage, die uns innehalten lassen, die uns hinführen zu Lebens- und Glaubensfragen.

Doch schon Ende November ändert sich der Klang, beginnt etwas Neues. Am 28. November fängt diesmal das neue Kirchenjahr an. Am 1. Advent wird mit der ersten Kerze schon das Licht sichtbar, das Jesus Christus in unser Nachdenken, in unsere Fragen, in unsere Tage in Moll gebracht hat.

Ihr Pfarrer Popp, Nov. 2021

„Lasst uns aufeinander achthaben und einander anspornen zur Liebe und zu guten Werken“

Brief an die Hebräer 10,24

Himmel und Hölle

Eine fromme Frau bittet Gott, den Himmel und die Hölle sehen zu dürfen. Gott erlaubt es ihr und führt sie in einen großen Raum. In seiner Mitte steht auf dem Feuer ein Topf mit einem kösltichen Gericht. Rundherum sitzen Leute mit langen Löffeln, alle stochern in dem Topf, aber sie sehen blass aus, mager und elend. So sehr sie sich auch bemühen, die Stiele der Löffel sind zu lang. Sie können das herrliche Essen nicht in den Mund bringen.

„Was für ein seltsamer Ort“, sagt die Frau. „Das“, antwortet Gott, „ist die Hölle.“

Sie gehen in einen zweiten Raum, der genauso aussieht wie der Erste. Auch hier brennt ein Feuer, und darüber kocht ein köstliches Essen. Leute sitzen rundherum, auch sie haben Löffel mit langen Stielen, aber sie sind alle gut genährt und scherzen. Einer gibt dem anderen mit seinem langen Löffel zu essen.

„Und dies“, sagt Gott, „ist der Himmel.“ Diese Geschichte ist ein Gleichnis für unser irdisches “Hölle und Himmel”. Wir können die Hölle im Zusammenleben erleben: wenn Nachbarn nur noch über den Rechtsanwalt kommunizieren, wenn (Ehe-) Partner streiten und keine Lösungen mehr gefunden werden, wenn sich zwischen Eltern und Teenagern harte Fronten gebildet haben. Da sehnt sich jeder danach, “gefüttert” zu werden, vom anderen verstanden zu werden, Wertschätzung zu erfahren und die eigenen Bedürfnisse gestillt zu bekommen. Aber die “Löffel” sind zu lang und der Weg zum Anderen wird nicht mehr gefunden.

Manchmal kann es sehr hilfreich und befreiend sein, sich Hilfe von außen zu holen. Jemand, der ein Streitgespräch moderiert, der den Gegnern hilft, wieder eine gemeinsame Basis zu finden, der beide Seiten ernst nimmt und sie dabei unterstützt, neue Wege zueinander zu finden. Von außen hat man einen anderen Blickwinkel und kann Möglichkeiten erkennen, die man als Betroffene/r nicht wahrnehmen kann.

Wenn man sich noch nicht völlig festgefahren hat, kann auch eine Übung helfen: Jeder darf 10 Minuten oder länger (Zeit vorher genau festlegen) seinen Standpunkt erklären, die eigenen Gedanken, Gefühle, Wünsche, Gründe etwas zu tun/ zu lassen aussprechen. Vorwürfe sind verboten, man spricht stattdessen von sich selbst, also z.B. “ich werde wütend wenn Du das tust, weil ich...” anstatt “Du tust immer...”. Der andere hört genau zu (das ist schwierig aber wertvoll). Danach ist der Andere mit reden dran und der Erste hört zu. Keiner darf den anderen unterbrechen, es gibt in dieser Zeit keine Diskussion oder Streitgespräch.

Anschließend kann man über das, was gesagt wurde und wie es beim Anderen ankam, ins Gespräch kommen oder das Gehörte “sich setzen lassen” und später wieder aufgreifen. Vielleicht ist ja in den Ferien Zeit und Raum, es einmal auszuprobieren!

Im (wirklichen) Himmel wird es keine Konflikte mehr geben. Aber Gott möchte ja, dass seine Kinder sich auch hier auf der Erde das Leben nicht zur Hölle machen. Und wir müssen es nicht selbst schaffen, wir können Gott bitten, dass er uns Wege zueinander öffnet.

Der Himmel ist viel näher, als wir denken! Die Hölle aber auch!

Ihr Pfarrer Popp, Oktober 2021

Ins Verhältnis gesetzt

Liebe Mama, lieber Papa,

seit ich im Internat bin, war ich, was das Briefe schreiben angeht, sehr nachlässig. Ich will Euch nun auf den neuesten Stand bringen, aber bevor Ihr anfangt zu lesen, nehmt Euch bitte einen Stuhl. Ihr lest nicht weiter, bevor Ihr Euch gesetzt habt! Okay?

Also, es geht mir inzwischen wieder einigermaßen. Die Gehirnerschütterung, die ich mir zugezogen hatte, als ich aus dem Fenster des Wohnheims gesprungen bin, nachdem dort kurz nach meiner Ankunft ein Feuer ausgebrochen war, ist ziemlich ausgeheilt. Ich war nur kurz im Krankenhaus und habe kaum noch Kopfschmerzen. Glücklicherweise hat der Tankwart einer Tankstelle das Feuer im Wohnheim und meinen Sprung aus dem Fenster gesehen und die Feuerwehr und den Krankenwagen gerufen. Er hat mich auch im Krankenhaus besucht und da das Wohnheim erstmal nicht betretbar war und ich nicht wusste, wo ich unterkommen sollte, hat er mir netterweise angeboten, bei ihm zu wohnen. Eigentlich ist es nur ein Zimmer im ersten Stock, aber es ist doch recht gemütlich.

Er ist ein netter Junge und wir lieben uns sehr und haben vor zu heiraten. Wir wissen noch nicht genau wann, aber es soll schnell gehen, damit man nicht sieht, dass ich schwanger bin. Ja, Mama und Papa, ich bin schwanger.

Ich weiß, wie sehr Ihr Euch freut, bald Großeltern zu sein - und ich weiß, Ihr werdet das Baby gern haben und ihm die gleiche Liebe und Zuneigung und Fürsorge zukommen lassen, die Ihr mir als Kind gegeben habt.

Ich weiß, Ihr werdet meinen Freund mit offenen Armen in unserer Familie aufnehmen. Er ist nett, wenn schulisch auch nicht besonders ausgebildet. Auch wenn er eine andere Hautfarbe und Religion hat als wir, wird Euch das sicherlich nicht stören.

Jetzt, da ich Euch das Neueste mitgeteilt habe, möchte ich Euch sagen, dass es im Wohnheim nicht gebrannt hat, ich keine Gehirnerschütterung hatte, ich nicht im Krankenhaus war, nicht schwanger bin und nicht verlobt und auch keinen Freund habe. Allerdings bekomme ich eine Sechs in Geschichte und eine Fünf in Mathe und ich möchte, dass Ihr diese Noten in der richtigen Relation seht!

Eure Tochter Johanna.

angelehnt aus der Reihe „Der andere Advent“, „Freude“, August/September 2021

Leicht leben.

Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir. Apg 17,27

Wann ist Gott fern und wann ist Gott nah? Was braucht es, um seine Nähe zu erfahren?

Welche Worte zu Gott sind die Richtigen? Manchmal können diese Fragen einen verstummen lassen. Oder man bekommt Angst, etwas Falsches zu tun.

Dazu eine Geschichte:

Auf einer Insel lebten drei fromme Frauen. Von nah und fern kamen die Menschen, um mit ihnen zusammen zu sein und zu beten. Eines Tages besuchte sie auch der Bischof. Als sich das Schiff der Insel näherte, erwarteten ihn am Strand drei ärmliche Gestalten. „Man sagt“, begann der Bischof, „dass ihr Gott schaut. Wie betet ihr zu ihm?“ Die drei sahen sich ratlos an.

„Wir beten einfach: Wir sind drei, und du bist drei - steh uns bei!“

Der Bischof war bestürzt: “Nichts sonst? Kein Vaterunser? Kein Rosenkranz? Keine Psalmen?“ So viel Unwissenheit konnte er nicht zulassen und er fing an, ihnen das Vaterunser Wort für Wort vorzusagen. Als die drei es nachsprechen konnten, verabschiedete sich der Bischof zufrieden. Aber kaum befand sich sein Schiff wieder auf See, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen: Hand in Hand eilten die drei über das Wasser auf ihn zu. Atemlos riefen sie: „Verehrter Herr, wir haben es vergessen! Wie geht es noch weiter nach: „Geheiligt werde dein Name“?“ Ergriffen warf sich der Bischof auf dem Schiff nieder und berührte mit der Stirn die Planken. „Betet so weiter, wie ihr es immer getan habt! Gott hört euch!“ Erleichtert verbeugten sich die drei und gingen beruhigt über die Wellen zurück zu ihrer Insel.

Ihr Pfarrer Popp, Juli 2021

Auch Martin Luther ließ sich das Wort nicht verbieten
Auch Martin Luther ließ sich das Wort nicht verbieten

Habe Mut, zu sprechen

Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apg 5, 29)

Ein einprägsamer Satz. Ein Satz mit Sprengkraft.

Ein Satz, der, so für sich genommen, alle menschlichen Gebote, Regeln und Anordnungen erst einmal und grundsätzlich in Frage stellt. 

Würde er doch heißen: Ich messe alles das, was ich tue, allein an den Geboten Gottes, denn diese sind mehr als alles andere. Revolte der Christen?

Nein, ganz und gar nicht. So kurz, prägnant und einprägsam dieser Satz auch ist, er muss im Kontext gelesen werden.

Und hier erfahren wir, auf was sich dieser Satz bezieht. Er stammt vom Apostel Petrus und ist im Rahmen der Vernehmung vor dem Hohen Rat gesprochen. Was war passiert?

Nach dem Pfingstereignis waren die Jünger Jesu erfüllt vom Heiligen Geist rausgegangen, um zu predigen, um Gottes Wort in die Welt hinauszutragen. Dies missfiel so manchem Hohepriester, speziell der Gruppe der Sadduzäer. Sie ließen die Apostel gefangen setzen und erteilten ihnen Predigtverbot.

In der Nacht passierte dann etwas völlig unerwartetes. Ein Engel, so wird berichtet, öffnete die Gefängnistüren und erteilte den Jüngern erneut den Auftrag zum Predigen.

Als die Wächter dann zum Gefängnis kamen, fanden sie die Türen verschlossen, aber die Häftlinge waren fort. Die Aufregung und Verwunderung kann man sich vorstellen. Über dritte er fuhren sie, die Jünger predigten vor dem Tempel.

Man ließ sie erneut holen, aber schon mit mehr Respekt ob der unerklärlichen Dinge, die über Nacht passiert waren. Und jetzt, sozusagen in der Verteidigungsrede des Petrus, fällt nun dieser Satz "man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen".

Sprich: Wir lassen uns nicht verbieten, von Gottes Wort zu reden. Seine Botschaft ist für alle Menschen wichtig. Es ist eine Botschaft zum Wohle aller, ohne Ausgrenzung und Abkehr. Gottes Wort gilt allen und muss daher auch an alle weitergegeben und gesprochen werden.

Eine Erkenntnis oder auch eine Forderung, der wir Christen bis heute in der Verkündung und in Gottesdiensten nachkommen.

Nachkommen wollen, weil wir wissen, wie wichtig es ist, immer und immer wieder Gottes befreiende Botschaft den Menschen zu sagen. Damit hören Probleme und Sorgen unserer Tage nicht auf, aber wir glauben und halten daran fest: Gott ist mit uns, er hört uns und trägt uns auch heute und wird das seinige tun.

Ihre Pfarrerin Heineken, Juni 2021

Was Müttern ihren Kindern sagen

 

Öffne deinen Mund für den Stummen, für das Recht aller Schwachen.

Sprüche 31,8

 

Im Mai ist Muttertag. Den Muttertag 2021 widme ich der Mutter von Lemuel. Lemuel war König von Massa. Ihm bzw. seiner Mutter wird die Sammlung von Sprichwörtern zugeschrieben, die im 31. Kapitel zu finden sind.

Ob Lemuels Mutter ihrem Sohn ihre weisheitlichen Gedanken vor dem Schlafengehen ins Ohr flüsterte? Oder wurde Lemuel tagsüber von seiner Mama in Form des Homeschoolings unterrichtet?

Wie auch immer, mir gefällt der Gedanke, dass die Könige zu Zeiten des Alten Testaments engagierte Mütter hatten, die ihnen gute Ratschläge für das spätere Regieren mit auf den Weg gaben. Lemuels Mutter gab ihrem Sohn keine Tipps zum geschickten Machterhalt mit auf den Weg. Bei ihren Empfehlungen hatte sie die Menschen im Blick, die nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurden: Öffne deinen Mund für die Schwachen. Der Lauf der Weltgeschichte wäre wahrscheinlich besser geworden, wenn mehr Könige und Präsidenten so gescheite Mütter gehabt hätten.

Gerne würde ich Lemuels Mutter fragen, warum sie ihrem Sohn ausgerechnet diesen Ratschlag hinter die königlichen Ohren geschrieben hat.

Vielleicht war es die Einsicht, dass eine Kette immer nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied und dass es deshalb politisch klug ist, den Schwachen im Land ihr Recht zu verschaffen? Vielleicht war sie aber auch eine gläubige Frau, die die Forderungen Gottes und seiner Propheten im Blick hatte.

Ich hoffe, dass die Mächtigen auch heute noch ein wenig auf ihre Mütter hören. Deshalb habe ich die Bitte an alle Mütter von Parteivorsitzenden, Bundestagsabgeordneten und BürgermeisterInnen. Legen Sie ihren Söhnen und Töchtern den Monatsspruch Mai ans Herz, wenn Sie am Muttertag von ihnen Besuch bekommen oder angerufen werden. Erinnern Sie ihre Kinder an die große Verantwortung, die sie für das Ganze der Gesellschaft haben!

Denn wir wissen, dass die Schere zwischen Armen und Reichen bzw. Starken und Schwachen immer weiter auseinandergeht.

Öffne deinen Mund für die Stummen, für das Recht aller Schwachen.

Nicht nur Königsmütter dürfen diese Worte weitersagen. Alle Eltern sind eingeladen, ihren Kindern diese Einsicht weiterzugeben. Eines Tages werden sie vielleicht Verantwortung in der Gesellschaft tragen. Wes Geistes Kind werden sie dann sein? Hoffentlich werden sie Kinder des Gottes sein, bei dem nicht das Recht des Stärkeren gilt.

 

Ihr Pfarrer Popp, Mai 2021

Wenn der Tod nicht mehr das letzte Wort hat?

„Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war.“

So erzählt der Evangelist Markus vom Ostermorgen.

Die Frauen wollten Abschied nehmen von einem Verstorbenen. Aber sie fanden etwas, dass sie zu Tode erschreckte.

Auf dem Bild sehen wir eine offene Grabhöhle mit geöffneten Steinsärgen. Es stammt aus einer antiken Ruinenstadt in der Türkei. Der Reiseführer erklärte, dass wahrscheinlich ein großes Erdbeben diese Gräber gesprengt hatte und möglichweise auch noch ein paar Grabräuber am Werk gewesen waren.

Doch es hat mich nicht losgelassen, was ich da gesehen habe. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Geschichte der Frauen am Grab Jesu und auch in das Erschrecken, das sie gepackt hatte.

Da ist dieses Grab, das doch wohl das Endgültigste ist, was es in dieser Welt gibt, so wie der Tod, der doch offensichtlich immer wieder das letzte Wort hat über alles das, was geboren wurde und lebt. Und dieses Grab ist gesprengt. Der Tod ist nicht mehr ganz dicht.

Aus welchem Grund auch immer.

Wer oder was hat aber dann das letzte Wort über diese Welt und auch über mein Leben, wenn der Tod nicht mehr ganz dicht ist?

Und da kehrt sich meine Blickrichtung um: Ich bin nicht mehr bei den Frauen am Grab Jesu.

Ich frage mich, ob ich auf diesem Gräberfeld nicht einen Blick in die Zukunft getan habe. Einen Blick in die Zukunft, die Gott für mich und für jeden von uns bereithält. In die Zukunft, aus der Gott Jesus geschickt hat in unsere Welt.

Wie einen Botschafter, wie einen Zeitreisenden, der die Abläufe unserer Welt verändert hat.

Der Tod ist nicht mehr ganz dicht. Was aus meinen Leben wird, was aus dieser Welt wird, ist noch nicht entschieden. Überraschungen und Erschrecken inklusive. Darauf dürfen wir gefasst sein, wenn wir uns auf den Weg zu Ostern machen.

Ihr Pfarrer Popp, April 2021

Wenn leblose Steine erzählen

Der Monatsspruch für März steht im Lukasevangelium (Lk 19,40)

 

Jesus antwortete: „Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.“

 

Ein Vers aus dem Lukasevangelium, der, so für sich stehend, einem nicht gleich eingängig ist, und man darüber stolpert. Leblose Steine werden schreien, derweil lebendige Wesen schweigen? Es steht inmitten einer Geschichte, in der es ebenfalls so manchen Stein des Anstoßes gab und in dem doch sehr viel Wirklichkeit steckt und ein tragbares Fundament unseres Glaubens.


Es ist kurz vor dem Passahfest. Jesus will mit seinen Anhängern nach Jerusalem. Dafür hat er seine Jünger vorausgeschickt, um einen jungen Esel zu besorgen. Darauf will er, der König der Welt, in die Stadt einreiten. Ich kann mir vorstellen, dass es den Jüngern etwas peinlich war: Ihr Meister, ihr Herr nicht hoch zu Ross, sondern nur auf einem Esel. In den Augen der Jünger ein anstößiges Verhalten ihres Meisters. So legten sie wenigstens bunte Kleider und Stoffe auf den grauen Eselsrücken und warfen Kleidung auf die staubige Straße, sozusagen als roter Teppich. Ja, jeder sollte sehen und auch hören, dass da nicht ein Irgendwer, ein armer Schlucker, sondern der König im Namen Gottes kommt. Und so fingen sie an, lauthals zu rufen und zu loben, so dass sie gut gehört wurden. „Gelobt sei der da kommt der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe." Ein Stein des Anstoßes für die Pharisäer.


Darum wenden sie sich an Jesus und fordern von ihm, seine Jünger zum Schweigen zu bringen. Bloß kein Aufsehen, keinen Ärger, alles sollte glatt und reibungslos zugehen.

 

Und was macht Jesus? Er nimmt den Stein des Anstoßes auf und macht ihn zum Fundament wenn er sagt: “Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.“


Die Freude, das Lob über Gott und die Taten seines Sohnes, die Gottesherrschaft Jesu, sie kann nicht schweigen. Sie wird nicht verstummen, auch dann nicht, wenn Jüngerinnen und Jüngern der Mund verboten wird oder sie vielleicht gerade selbst nur mühevoll Worte finden. Gottes Herrschaft wird sich durchsetzen, und bis es dazu kommt, werden sogar eigentlich leblose Steine davon erzählen. Und zeugen nicht bis heute, wo die Verkündigung des Wortes Gottes real von Angesicht zu Angesicht so problematisch geworden ist, Kirchen und Kathedralen mit ihrer Ausstrahlung mit ihren Ausgestaltungen und ihrer Größe von der Größe und Herrschaft Gottes? Laden ein zum Innehalten zum Gebet, ein Fundament unseres Glaubens.

Ihre Pfarrerin Almut Heineken, März 2021

Freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind. Lk 10,20

 

„Weißt Du wieviel Sternlein stehen,“ ist eines der Lieder, das ich schon sehr oft gesungen habe. Wenn ich dieses Lied Eltern für den Taufgottesdienst vorschlage, sind sie zunächst erstaunt: „Das ist doch ein Abendlied“, wenden sie ein.

„Ja“, stimme ich zu, „es ist als Abendlied bekannt geworden, aber eigentlich ist es ein Lied über die Liebe Gottes zu jedem einzelnen von uns. Lesen Sie mal nach! “Die Sterne, die Wolken, hat Gott gezählet, dass ihm nicht eines fehlet, die Mücklein und Fischlein rief Gott mit Namen und jedes Kind hat Gott im Blick: „Gott im Himmel hat an allen seine Lust sein Wohlgefallen, kennt auch dich und hat dich lieb, kennt auch dich und hat dich lieb.

“Was dieses Lied für die Kinder zum Ausdruck bringt, fasst der Monatsspruch für Februar in folgende Worte: Freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind.

Mein Name zeichnet mich aus als der, der ich bin. Er macht mich unverwechselbar. Selbst, wenn es ihn noch einmal gibt, ist dieser Name für mich ausgesucht worden, wurde in Kindertagen noch mit einem  Spitznamen versehen – mein Name, das bin ich.

Mein Name ist im Himmel verzeichnet, das bedeutet schon jetzt: Auch in der Welt, in der Menschen so viele verschiedene Namen tragen, bin ich nicht nur einer unter vielen, eine unbedeutende Zahl in einer Menge. Ich bin gesehen, gewollt, geliebt von Gott. Ich kann nicht verloren gehen, auch wenn ich manchmal selber nicht weiß, welche Bedeutung ich habe im Fluss der Zeit.

In manchen Diktaturen legen es Machthaber darauf an, Menschen verschwinden zu lassen, sie bemühen sich, Spuren auszulöschen, Namen zu tilgen.

Sich erinnern, Namen festzuhalten, die Geschichte dieser Menschen weiterzuerzählen ist eine Form des Widerstands dagegen. So kann keiner verloren gehen. Für Gott ist jeder von uns einzigartig und wertvoll – das bringe ich nicht nur am Anfang des Lebens im Rahmen der Taufe zum Ausdruck. Gott gibt keinen Menschen verloren – dafür finde ich auch Worte am Ende des Lebens. So steht am Anfang vieler Beerdigungen ein ähnlicher Bibelvers aus dem Jesajabuch: „Fürchte Dich nicht, denn ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein.“

Ihr Pfarrer Popp, Februar 2021

Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Lukas 6,36

 

Barmherzig. Ein grandioses Wort in unserer Sprache, finde ich. Es führt einige Wörter zu einem neuen Wort zusammen. „Beim Armen das Herz haben.“

„B Arm Herz“ So ist Gott. Er verliert sein Herz nicht an sonst was. Er hat sein Herz beim Armen.

Barmherzig wie ein Vater, der sich um seinen „verlorenen“ Sohn sorgt. Barmherzig, wie ein Hirte, dessen Herz nicht nur bei den 99 Schafen ist.

An Weihnachten haben wir ihn gefeiert. Den Gott, dem es nicht reicht, in sich zu ruhen. Ein Gott, der ein Menschenkind wird. Verletzlich, gefährdet, arm. So sehr hat er sein Herz bei den Armen. Aber wer ist überhaupt arm?

Wer zu wenig Geld hat und jeden Euro zweimal umdrehen muss, sicher.

Wer zu wenig Liebe geschenkt bekommt, auch.

Und wer sich groß aufspielt, aber im Grunde armselig ist, ja, der auch.

Und die, die gerade todtraurig sind. Oder erschöpft, weil das Leben so anstrengend geworden ist. Und wer nicht weiter weiß. Oder sich nicht weiter traut, weil er Angst hat, Fehler zu machen. Und alle, die wissen, wie sich das anfühlt, wenn einem elend zumute ist.

Seid barmherzig mit ihnen, sagt Jesus. Seid auch barmherzig mit euch selbt. Gott jedenfalls ist es. Arm sein ist nicht grandios.

Aber dass Gott sein Herz bei den Armen hat, das schon..Das ist Balsam für die Seele.

Daneben steht eine neue Herausforderung: „Seid barmherzig!“ Schaut gut hin. Verschließt die Augen nicht. Stellt euch auf die Seite der Armen, der Trostbedürftigen, auf die Seite derer, die Zuspruch brauchen oder tatkräftige Hilfe. Seid barmherzig.

Wie wäre es mit einem Jahr der Barmherzigkeit? Ein Jahr wie ein Trainingslager. Wir üben barmherzig zu sein. Mit den lieben Familienmitgliedern, Nachbarschaften, ArbeitskollegInnen, PolitikerInnen und überhaupt. Nur sonntags, da wird nicht geübt, da wird gefeiert, dass Gott barmherzig ist zu uns. Ein Hoch auf Gott, der sein Herz beim Armen hat. Bei uns auch.

Pfarrer Rüdiger Popp, Januar 2021